Führen in unsicheren Zeiten: Warum mehr Kontrolle nicht zu mehr Leistung führt – und wie wir stattdessen Flow ermöglichen können

Ich habe in meiner Karriere verschiedene Teams geführt – in stabilen, aber auch in sehr herausfordernden Situationen.

Einige dieser Teams waren außergewöhnlich leistungsfähig: nicht, weil sie perfekt waren, sondern weil dort etwas Entscheidendes zusammenkam – Klarheit, Vertrauen und ein gemeinsames Growth-Mindset.

Diese Erfahrung hat mich tief geprägt. Denn ich habe gesehen, was möglich wird, wenn Menschen in einem Umfeld arbeiten, das sie nicht bremst, sondern befähigt.

In den letzten fünf Jahren durfte ich zusätzlich mit ganz unterschiedlichen Organisationen arbeiten – vom Mittelstand bis zum globalen Konzern, von Familienunternehmen bis zu börsennotierten Gruppen.

Trotz aller Unterschiede zeigte sich ein wiederkehrendes Muster: Leistung entsteht dort, wo Struktur und Haltung zusammenwirken.

Aus dieser Reflexion – und aus dem ehrlichen Dialog mit vielen Führungspersönlichkeiten – habe ich die Idee des Performance-Kontinuums entwickelt: Ein einfaches Modell, das helfen soll zu verstehen, wo eine Organisation wirklich steht – und was sie davon abhält, ihr Potenzial zu entfalten.

Unsere Welt ist aktuell massiver denn je in Bewegung – und mit ihr die Erwartungen an Führung. Wirtschaftliche Unsicherheit, politische Spannungen, technologische Umbrüche, kulturelle Polarisierung – all das hinterlässt Spuren in Organisationen. Und in den Menschen, die sie führen.

In vielen Unternehmen wird aktuell der Ruf nach „stärkerer Führung“ lauter. Gemeint ist oft: mehr Kontrolle, mehr Ansagen, mehr Autorität. Ein Reflex, der verständlich ist – aber gefährlich. Denn Klarheit wird oft mit Strenge verwechselt. Und Führung mit Kontrolle.

Dabei gilt heute mehr denn je:

In komplexen, dynamischen Umfeldern führt Autorität allein nicht zu Leistung – sondern zu Stillstand.

Wer in unsicheren Zeiten wirksam führen will, braucht etwas anderes: Haltung und Richtung. Ein Umfeld, das Orientierung gibt – und Entwicklung ermöglicht.

Das Performance-Kontinuum bietet dafür einen klaren Rahmen.

Es zeigt, wie Höchstleistung entstehen kann – und woran wir erkennen, wo wir stehen.

Nicht als Dogma. Sondern als Kompass.

Für Führung, die Vertrauen schafft – und Bewegung ermöglicht.

Das Performance-Kontinuum beruht auf zwei wesentlichen Hebeln:

1. Growth Mindset
Die Überzeugung, dass Entwicklung möglich ist. Dass Fehler Chancen sind. Dass Verantwortungsübernahme (Selbst)Ermächtigung bedeutet.
Ein Growth Mindset schafft Räume für Reflexion, Lernen und persönliche Wirksamkeit. Es verändert, wie Menschen auf Herausforderungen reagieren.

2. Clarity & Alignment
Strukturen, Rollen, Ziele und Erwartungen sind klar – und im Einklang. Menschen wissen, worauf sie einzahlen. Entscheidungen werden verstanden und mitgetragen, nicht nur verkündet.
Clarity & Alignment geben Fokus, Orientierung und Sicherheit. Gerade in unsicheren Zeiten ist das elementar.

Wenn beides zusammenkommt, entsteht High Performance. Doch dieser Zustand fällt nicht vom Himmel – er ist das Ergebnis bewusster Entwicklung.

Das Performance-Kontinuum – fünf Stufen auf dem Weg zur Leistung

Das Modell zeigt, wie sich Teams oder Organisationen entlang der beiden Achsen „Growth Mindset“ und „Clarity & Alignment“ entwickeln – mit allen Spannungen, Chancen und Blockaden. Es definiert dabei fünf einfache Stufen – siehe Grafik.


1. Stuck – Festgefahren, müde, misstrauisch

Der „Stuck“-Zustand ist schmerzlich – aber verbreiteter als viele denken.
Es fehlt hier sowohl an Richtung als auch an innerer Haltung. Entscheidungen wirken willkürlich, Verantwortung wird abgeschoben, Dialoge verlaufen zynisch oder defensiv.

Typische Signale:
- Meetings ohne Substanz oder Ergebnis
- „Dienst nach Vorschrift“ – oder stiller Rückzug
- Führung wird nicht mehr ernst genommen

Führung in dieser Phase bedeutet: Präsenz zeigen. Zuhören. Vertrauen aufbauen. Und Klartext reden, ohne zu verurteilen. Oft beginnt Veränderung hier mit einer einzigen ehrlichen Frage: „Was blockiert uns eigentlich wirklich?“

2. Struggling – Spüren, dass mehr möglich wäre

In dieser Phase ist Bewegung spürbar – aber sie ist widersprüchlich und noch unsicher. Einzelne zeigen Initiative, andere warten ab. Prozesse wirken halbgar, Feedback wird persönlich genommen, Energie versickert im Alltagschaos.

Es herrscht ein Gefühl von: „Wir versuchen ja – aber irgendwie funktioniert es nicht.“

Führung bedeutet hier, den Raum zu halten: Widersprüche benennen, erste stabile Strukturen aufbauen, psychologische Sicherheit stärken. Auch eine klare Entscheidung, was nicht mehr getan wird, kann helfen.

3. Awakening – Erste Klarheit, wachsendes Selbstbewusstsein

Jetzt beginnt ein Wandel. Es entstehen erste gemeinsame Bilder von Zukunft, Zusammenarbeit und Haltung. Rollen werden hinterfragt, Feedback wird neugieriger, erste Routinen greifen. Es wird mehr gelacht – und mehr gestritten. Gesund.

Typische Signale:
- Neue Ideen entstehen – auch von unten
- Fehler werden nicht vertuscht, sondern reflektiert
- Meetings werden fokussierter, Entscheidungen transparenter

Führung heißt jetzt: Vertrauen schenken, aber auch fordern. Die Kunst liegt darin, Tempo zu dosieren, Ambiguität auszuhalten und Entwicklung zu begleiten – nicht zu kontrollieren.

4. Building – Bewusste Gestaltung und kollektive Verantwortung

Das System beginnt zu tragen. Strukturen und Mindset stärken sich gegenseitig. Menschen erleben Wirkung. Teams übernehmen Verantwortung für Ziele und Miteinander. Innovation entsteht nicht mehr durch Zufall, sondern durch Kultur.

Es gibt:
- Klar definierte Spielräume – und Lust, sie zu nutzen
- Gemeinsame Rituale, die Haltung sichtbar machen
- Führung, die zuhört, aber nicht alles selbst regelt

In dieser Phase verlagert sich Führung von Steuerung zu Ermöglichung. Kultur wird zur Leistungskraft. Und Leistung wird zum Ausdruck von Sinn.

5. Flow – Fokussiert, verbunden, wirksam

Der Flow-Zustand ist selten dauerhaft – aber erreichbar.
Hier stimmen Richtung, Haltung und Verhalten überein. Menschen agieren mit Klarheit, Energie und Verantwortung. Lernen ist selbstverständlich, nicht verordnet. Führung ist verteilt – nicht abgegeben, sondern verankert.

Flow zeigt sich oft leise:
- In hoher Qualität bei wenig Kontrolle
- In mutigen Entscheidungen mit echtem Risiko
- In einer Atmosphäre, in der Menschen gerne bleiben – und wachsen

Führung in Flow ist achtsam, reflektiert, entwicklungsbereit. Sie weiß: Dieser Zustand braucht Pflege, nicht Perfektion.

Das Performance Continuum macht deutlich:
Leistung ist kein Zustand – sondern eine Bewegung.

Und Bewegung braucht:
- Selbstreflexion statt Schuldzuweisung
- Dialog vor Durchgriff
- Haltung mit Methode

Die zentrale Frage ist nicht: „Wie erreichen wir High Performance?“
Sondern:
„Wo stehen wir – und was blockiert uns gerade?“
„Was können wir als Führung konkret verändern?“

Das Modell bietet keinen Shortcut – aber einen ehrlichen Rahmen. Und genau das brauchen viele Führungskräfte heute: Orientierung ohne Dogma.

 

Fazit: Führung ist der Unterschied

Am Ende entscheidet Führung nicht nur über Zahlen – sondern über Haltung. Über Kultur. Über Vertrauen.

Wer führen will, muss bereit sein, sich selbst zu entwickeln, nicht nur andere.
Denn Flow entsteht nicht durch Druck. Sondern durch Klarheit, Sinn und die Überzeugung, dass Menschen viel mehr können, als wir ihnen manchmal zutrauen.

Oder wie ein CEO kürzlich sagte:
„Ich habe gelernt: Mein eigenes Verhalten ist das stärkste Kulturinstrument, das ich habe.“

Das Performance-Kontinuum kann helfen, diesen Weg bewusst zu gestalten. Schritt für Schritt – von Stuck zu Flow.

Bei Telos Partners begleiten wir genau diesen Weg – mit Überzeugung und Leidenschaft. Wir helfen Führungspersönlichkeiten und Organisationen, leistungsfähige Systeme zu gestalten: geprägt von Klarheit, getrieben von Haltung, getragen von Vertrauen. Weil wir wissen: Höchstleistung beginnt nicht mit Kontrolle – sondern mit einem anderen Blick auf Führung.

 

Marc Doetze ist Sparringspartner für Führungspersönlichkeiten und ihre Teams.

Er verfügt über langjährige internationale Erfahrung in Transformationsprozessen und der Entwicklung leistungsfähiger Teams und Organisationen.

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